Berufliche Entscheidungen müssen wir ein (Berufs-)leben lang treffen
Wir alle kommen mehr oder weniger häufig im Leben in Situationen, in denen es gilt, Entscheidungen zu treffen und Weichen zu stellen. Im beruflichen Kontext sind das z.B. die Entscheidung für eine Ausbildung oder ein Studium, später die Entscheidung für eine konkrete Tätigkeit, für einen bestimmten Arbeitgeber, für einen Auslandsaufenthalt, für eine Führungsaufgabe oder eine Fachkarriere, für eine Elternzeit, für einen Wiedereinstieg oder oder oder …
Entscheidungsverhalten ist auch typabhängig
Manche Entscheidungen fallen schwerer als andere, weil sie weitreichende Konsequenzen haben. Manch einer entscheidet sich leichter als andere. Das ist auch typbedingt. Beobachten Sie sich: Zählen Sie zu den Menschen, die sich zunächst viele mögliche Alternativen ansehen oder testen? Meine Freundin Heike zum Beispiel geht gerne mal in 10 Geschäfte, um nach einer weißen Bluse zu suchen und entscheidet sich dann doch erst beim nächsten Einkauf. Ihr Ehemann hingegen kann diese „Entscheidungsunfähigkeit“, wie er es manchmal etwas abschätzig nennt, nicht verstehen. Er geht in maximal zwei Geschäfte, wenn er sich ein Hemd kaufen möchte und entscheidet sich dann schnell. Ein Erklärungsmodell hierfür kann der Myers Briggs Typenindikator (MBTI) liefern: Hiernach gibt es – grob gesprochen – Menschen, die es bevorzugen, ihr Leben planvoll zu leben, sie entscheiden sich in der Regel schnell. Der MBTI spricht dann von einer Präferenz für „J“ („Judging“). Dem gegenüber stehen Menschen, die eine Präferenz für Offenheit und Flexibilität haben („P“ für „Perceiving“), diese tun sich häufig schwer mit Entscheidungen. Heike hat also möglicherweise eine Präferenz für „P“, Ihr Ehemann hingegen eine für „J“. Soweit ein Erklärungsansatz hierfür.
Wichtige berufliche Entscheidungen können zum Dilemma werden
Unabhängig vom Entscheidungstyp gibt es für jeden Menschen das, was wir als „schwierige“ Entscheidung empfinden. Hierbei handelt es sich in der Regel um Entscheidungen, die zum Teil mit erheblichen Konsequenzen für unser weiteres Leben verbunden sind oder auch bei denen jede Entscheidungsalternative mit Verbesserungen in einem Bereich, aber auch mit Verschlechterungen in anderen Bereichen einhergehen. Beispielsweise kann das Angebot, eine berufliche Station im Ausland zu verbringen, mit (vermeintlichen) Vorteilen wie der Aussicht auf einen wichtigen Karriereschritt, der Möglichkeit, eine andere Sprache und Kultur besser kennen zu lernen oder auch einem attraktiverem Gehalt plus Zusatzleistungen für Expatriates assoziiert werden. Auf der anderen Seite zeigen sich aber auch Nachteile: möglicherweise kann der Partner im Ausland nicht arbeiten, die Kinder müssen die Schule wechseln, kranke Verwandte können nicht mehr betreut werden etc. Schnell entsteht dann das Gefühl, sich in der Entscheidungssituation im Kreis zu drehen. Wenn Sie die sich zeigenden Alternativen zunehmend als schier unvereinbare Gegensätze empfinden und Sie diese Situation als belastend wahrnehmen, dann spricht man von einem Dilemma.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen ein Beispiel aus meiner Beratungspraxis schildern:
Entscheidung zwischen Angestelltemdasein und Selbständigkeit
Herrn M. (Name geändert) begleitete ich in einer Phase der beruflichen Neuorientierung. Er arbeitet in der Kommunikation eines größeren Unternehmens. Seine Tätigkeit machte ihn zunehmend unzufrieden. Im Coaching zeigte sich, dass er ein ausgeprägtes Streben nach Unabhängigkeit hat und zudem unternehmerisch tätig sein wollte. Dies kontrastierte mit den starren Hierarchien im Konzern und war ein wesentlicher Grund für seine Unzufriedenheit. Er entwarf den Plan einer Selbständigkeit. Wir hörten eine Weile nichts von einander, bis er mich vor kurzem anrief mit der Bitte, ihn in einer Entscheidungssituation zu unterstützen. Er hatte bis dato seinen Wunsch, mit der Selbständigkeit zu starten noch nicht in die Tat umgesetzt, erhielt nun aber ein verlockendes Angebot. Er sollte ein größeres Projekt als Selbständiger betreuen. Nun stand er also vor der Entscheidung, entweder Angestellter im Konzern zu bleiben oder den Absprung aus dem Konzern wagen und mit dem Projekt die Selbständigkeit zu beginnen.
Vielleicht kennen Sie eine solche oder ähnliche Entscheidungssituation im beruflichen Kontext. Folgende drei Schritte können Ihnen helfen, zu einer guten Entscheidung zu kommen:
Drei Schritte, wie Sie zu einer guten Entscheidung finden können:
1. Fragen stellen, zum Beispiel
- Fragen zur Tätigkeit: Was genau muss ich tun? Womit beschäftige ich mich (überwiegend)? Wie könnte ein typischer Tag aussehen? Gibt es Dinge, die ich erst lernen muss? Was kann ich alleine tun, wo bin ich auf andere angewiesen?
- Fragen zu den Rahmenbedingungen, z.B.: Wo kann ich das tun? Mit wem kann ich das tun (Kunden, Partner, Mitarbeiter)? Was wird mein Netto-Verdienst sein? Deckt dies meine finanziellen Verpflichtungen? Welche zusätzlichen Investitionen muss ich tätigen (Weiterbildungen, Räumlichkeiten, Reisen etc.)? Wieviel werde ich arbeiten? Wieviel Zeit bleibt mir für meine Freizeitaktivitäten und für meine Familie/Freunde?
- Systemische Fragen, z.B.: Was würde meine Lebenspartnerin dazu sagen? Was meine Kinder? Wenn ich Ihren besten Freund fragen würde, was würde er mir antworten? Was würden Ihre Kollegen sagen?
- Fragen zur Zukunft, z.B.: Wie sieht das in fünf/zehn Jahren aus? Was bedeutet dies für meine weitere berufliche Entwicklung?
Sammeln Sie die Antworten (z.B. auf Post-it) und legen Sie sie vor sich aus. Oftmals schafft dies schon ausreichend Klarheit.
2. Sprechen Sie mit Anderen
Wenn Sie zunehmend das Gefühl haben, sich nur „im eigenen Saft“ zu bewegen, dann können Impulse von außen einen Entscheidungsprozess nachhaltig bereichern. Für manch Eine löst sich der Knoten schon alleine durch das Erzählen der Situation an externe (unbefangene) Dritte. Für andere bietet der Austausch mit anderen die Möglichkeit, einen wesentlichen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Schließlich gibt es – je nach Fragestellung (z.B. wenn es um die Einschätzung von zukünftigen Branchentrends geht)- auch die Möglichkeit, Experten zu befragen. Wer ist geeignet? Der Kreis möglicher Gesprächspartner ist groß: Lebenspartner, Familie, Freunde oder Kolleginnen. Professionelle Unterstützung in Entscheidungsfragen können Sie auch von Coaches und Karriereberatern erhalten oder Sie lassen sich in einer Coachinggruppe begleiten.
3. Setzen Sie Instrumente zur Entscheidungsfindung ein
Es gibt zahlreiche Instrumente, die Sie bei der Entscheidungsfindung unterstützen können. Hier sind drei Beispiele:
Pro- und Kontraliste (kennt eigentlich jeder):
Vor- und Nachteile einer Alternative werden aufgelistet, je nachdem, ob die Vorteile oder die Nachteile überwiegen, wird die Entscheidung getroffen). Diese Methode ist einfach und für viele sehr rationale Entscheider oft das Mittel der Wahl. Da die einzelnen Vor- und Nachteile in den allermeisten Fällen nicht gleichwertig wahrgenommen werden, wird diese Vereinfachung der komplexeren Realität oft nicht gerecht.
Zunächst werden die wichtigsten Kriterien für die Entscheidung erhoben, diese werden individuell gewichtet und ihr jeweiliger Erfüllungsgrad pro Kriterium bewertet. Daraus ergibt sich pro Handlungsalternative ein Zahlenwert. Die Entscheidungsalternativen werden nach ihren Zahlenwerten gerankt. Vorteile: Eignet sich nach meiner Erfahrung hervorragend für analytisch-rational geprägte Menschen, die so auch ihr Bauchgefühl mit in die Entscheidung einfließen lassen können. Nachteile: Nicht immer lässt sich Intuities in Zahlen übersetzen. Daher setze ich auch zusätzliche Instrumente ein, die das Unbewusste mehr einbeziehen.
Aufstellungen, insbesondere das Tetralemma (nach Insa Sparrer und Matthias Varga v. Kibéd):
Hier wird der Raum möglicher Handlungsalternativen aktiv erweitert: Neben der einen Option (das Eine) und deren Gegensatz (das Andere) wird nach dem Sowohl-als-Auch (Beides) gefragt und sogar nach einer vierten Möglichkeit (Keines von Beiden), wenn möglicherweise ein anderes Thema hinter dem genannten Entscheidungsthema steht. (Anm.: Auf die fünfte Position soll hier nicht eingegangen werden.). Zunächst werden die beiden (bekannten) Alternativen befragt, anschließend entwickelt man durch gezielte Fragen mögliche Alternativen (Beides), die Elemente aus beiden Positionen beinhalten. Schließlich wird auch die vierte Position befragt. Die einzelnen Positionen werden in der Folge immer wieder eingenommen bzw. befragt, sodass ein vielschichtiges Bild entsteht, auf dem eine Entscheidung getroffen werden kann.
Ich setze das Tetralemma oder eine reduzierte Form davon dann ein, wenn ich gänzlich neue Impulse einbringen, also zum Querdenken anmieren möchte. Dies kann sich sowohl auf mehr Intuitives als auch auf das Entwickeln einer neuen Alternative beziehen. Ein weiterer Effekt bezieht sich darauf, dass die Entscheidung oftmals leichter wird, wenn man die einzelnen Positionen im Raum, also physisch erfahrbar, einnimmt.
Herr M. – Von „Entweder“ versus „Oder“ zum „Sowohl-als-auch“
Zurück zu Herrn M. – wie ging es weiter? Als er zum Coaching kam, sagte er, er habe sich eigentlich schon dafür entschieden, im Konzern zu bleiben und das Projekt nicht zu übernehmen. Er wolle aber noch einmal meine Meinung dazu hören. Ich stellte ihm zunächst Erkundungsfragen zu den beiden Alternativen und deren Rahmenbedingungen. Weiter wollte ich von ihm wissen, was genau die Gründe waren, sich für den Verbleib im Konzern zu entscheiden und was ihn eigentlich am Projekt interessiert habe. Als er so erzählt, spüre ich bei ihm Faszination für das Projekt. Gleichzeitig merke ich sein Bedauern darüber, dass er sich für die vermeintlich „sichere“ Alternative, nämlich alles beim Alten zu belassen entscheidet. Daraus entsteht bei mir der Impuls, es könne vielleicht auch bei ihm ein „Beides“ geben. In seinem Fall also eine Möglichkeit, die es ihm erlaubt, sowohl seinen sicheren Job zu behalten als auch die selbständige Tätigkeit zu starten. Ich erläuterte ihm dies und stellte ihm entsprechende Fragen. Sofort war er Feuer und Flamme, denn an eine dritte Möglichkeit hatte er so noch nicht gedacht. So entwickelte er die Idee, seine Arbeitszeit zu reduzieren, das Projekt anzunehmen, aber mit einem Projektpartner abzuwickeln. Einen Projektpartner fand er sogar durch die Vermittlung des Auftraggebers, mit dem er offen sprechen konnte. Das Projekt war sein geglückter Start in die lang ersehnte Selbständigkeit.
Kennen Sie auch solche beruflichen Dilemmata? Wie ist Ihre Lösungsstrategie? Was hat sich bei Ihnen bewährt? Schreiben Sie mir Ihren Kommentar, ich bin neugierig darauf?